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Gründerstory: Gesunder Nachtisch made in Hamburg

Desserts ohne schlechtes Gewissen? Das klingt für viele utopisch, doch für Stephan Röhler ist es eine Vision. Er ist Gründer und Betreiber der Low Carb Manufaktur „sweetful things“, ein Hamburger Start-Up mit Fokus auf kohlenhydratarme Süßigkeiten und Nachtisch. Dafür bietet er seinen Kunden momentan drei selbstgemachte Kuchen an und hat weitere Produkte in der Entwicklung. Die Idee des sündenfreien Naschens entstand vor drei Jahren, mittlerweile hat er einen eigenen Stand auf dem Eppendorfer Bio-Markt. Auf dem Weg dahin musste Stephan immer wieder entscheidende Hürden überwinden und harte Rückschläge wegstecken. Dabei hat er ein ambitioniertes Ziel im Blick: Die führende Low Carb Marke in Deutschland werden.

Stephan Röhler an seinem Stand auf dem ChristGrindel Weihnachtsmarkt 2019. Foto: Wiebke Schröter

Bald ist Frühlingsanfang und Stephan Röhler sitzt tiefenentspannt in seiner Küche in Hamburg-Horn. Die Sonne durchflutet den Raum, bald ist Mittagszeit. Abseits des Hamburger Start-Up-Trubels hat es sich der Gründer und Low-Carb-Experte gemütlich gemacht und arbeitet an einem neuen Brot-Aufstrich. Dafür vermischt er kleine Mengen Erythrit – ein sogenannter Zuckeraustauschstoff – mit Erdbeeren und legt diverse Proben an. Die Mischungen werden zunächst püriert, dann mit etwas Bindemittel aufgekocht und schließlich in ein Schraubglas abgefüllt. Jeder Zutatenmix wird genau im Laptop dokumentiert – ein paar Stunden später bewertet der Gaumen die Arbeit.

In der modernen Lebensmittelindustrie ist es bei vielen Produkten völlig normal, raffinierten Zucker beizumischen – auch wenn er eigentlich fehl am Platz ist. Wer nicht auf die Mehrwerttabellen achtet, hat die empfohlene Tagesdosis schnell überschritten. Das Problem des Zuckers: Er ist ein leeres Kohlenhydrat und gibt dem Körper keinen echten nachhaltigen positiven Effekt – außer einem kurzfristigen Energieschub, auf den ein Tief und oftmals Heißhunger folgt. „Der Mensch braucht eigentlich gar keine Kohlenhydrate, um zu überleben. Er kann sich alle lebensnotwendigen Nährstoffe auch aus anderen Quellen wie z.B. ungesättigten Fettsäuren ziehen“, erklärt Stephan.

Sündenfreier New York Cheesecake. Foto: Stephan Röhler

„Wer Kohlenhydrate auf dem Speiseplan bewusst austauscht oder Zucker durch andere Stoffe ersetzt, ernährt sich Low Carb. Hier gibt es verschiedene Definitionen und Unterformen wie etwa die ketogene Ernährung. Wer abnehmen oder seinen Blutzuckerspiegel stabilisieren will, probiert nicht selten solche kohlenhydratarme Diäten aus. Doch viele Ernährungskonzepte setzen auf den Verzicht von Süßigkeiten und das ist schwierig. Stephan Röhler bietet daher seine süße Alternative: Der Nachtisch ohne schlechtes Gewissen. „Mein Cheesecake hat ähnlich viele Kalorien wie ein normaler Kuchen, aber die kommen aus anderen Quellen wie ungesättigten Fettsäuren und Eiweiß. Fast gar nichts kommt vom Zucker“, sagt Stephan. Geschmacklich gibt es kaum Unterschiede zu „normalen“ Rezepten, das hört er auch immer wieder von neugierigen Standbesuchern auf dem Eppendorfer Bio-Wochenmarkt. „Kenner wissen meine Produkte zu schätzen und bezahlen den etwas höheren Preis für Low Carb Produkte gerne“, berichtet er. Eine Win-Win-Situation für ihn und den Käufer.

Eine Idee, aus dem Zufall geboren

Stephan Röhlers Geschäftsidee der Low Carb Manufaktur ist eher dem Zufall geschuldet: „Ich lernte 2017 auf einer Party jemanden kennen, der ketogene Desserts entwickeln wollte. Ich fand die Idee super und wollte ihn beraten, da ich im kaufmännischen Bereich fit bin.“ Und da Stephan selbst abnehmen wollte, ernährte er sich fortan selbst Low Carb. Ziemlich schnell merkte er: „Es ist nicht nur förderlich fürs Gewicht, sondern auch für die allgemeine Gesundheit. Dieses Gefühl will ich an andere Menschen weitergeben.“ Beide arbeiteten eine Zeit lang gemeinsam an Konzepten und Rezepten, Stephan arbeitete sich durch einen Berg an Ernährungsliteratur und führte Gespräche mit Experten. Als Anfang 2019 der Geschäftspartner aussteigt, ist Stephan motivierter denn je. Sein selbstgemachtes Angebot umfasst momentan die drei Kuchensorten New York Cheesecake, Mandel-Apfelkuchen sowie Fudgy Brownie. Zusammen mit diversen Zuckeralternativen und Süßigkeiten anderer Hersteller bildet das sein aktuelles Angebot am Verkaufsstand in Eppendorf, den er seit diesem Jahr jeden Samstag aufbaut. „In Zukunft will ich natürlich alle Produkte selbst herstellen.“ Dafür arbeitet er aktuell an Fruchtaufstrichen mit den Geschmacksrichtungen Erdbeere, Kirsche oder Heidelbeere. Erste Gehversuche gab es auch mit Limonade und Milcheis, marktreif ist davon aber noch nichts.

Mandelkuchen: Viel Geschmack, wenige Kalorien. Foto: Stephan Röhler

Im Nachhinein ist man immer schlauer

Denn das Prädikat „marktreif“ kann bei Lebensmitteln dank diverser deutscher Gesetze und EU-Regularien eine äußerst komplizierte Angelegenheit sein. Genau die warfen den Unternehmer immer wieder zurück: „Die Handwerkskammer sagte mir, dass ich meinen Kuchen nicht verkaufen darf, weil ich kein Meister bin oder einen Meisterbetrieb führe!“ Eine Nachricht wie ein Schlag ins Gesicht. „Das hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen.“ Die Lösung: Die Kuchenproduktion auslagern, nach „sechs Monaten intensiver Suche wurde ich endlich in Harburg fündig.“ Eine völlig andere Dimension sind EU-Regelungen zur Deklaration von Lebensmitteln, an denen Stephan Röhler regelmäßig zu knabbern hat. „Low Fat, Kalorienarm oder Ballaststoffreich: das wird alles klar definiert. Aber von Low Carb steht nichts drin.“ Was nicht explizit geregelt wird, ist „einfach nicht erlaubt. Das Gesetz macht es sich da zu einfach“, kritisiert er. Für ihn war es der nächste große Rückschlag, die eigenen Produkte nicht explizit mit dem Label Low Carb bewerben zu dürfen. „Wem tue ich damit weh, wenn ich Low Carb auf meine Verpackung schreibe?“ Hätte er das und die anderen Stolpersteine am Anfang bereits auf dem Schirm gehabt, „hätte ich gar nicht erst sweetful things gegründet!“

Motivation aus Rückschlägen ziehen

Stephan wirkt in seinen Erzählungen wie der klassische Steh-auf-Mensch, den Rückschläge eher abhärten als in die Knie zwingen. „Jeder fällt auf die Fresse, aber man muss immer wieder aufstehen und weitermachen!“ Sein Rat an potenzielle Gründer ist daher so simpel wie komplex: „Einfach machen! Es gibt immer jemanden, der dich von deinem Vorhaben abbringen will. Du selbst trägst das größte Risiko zu scheitern, aber am Ende kannst du mit etwas dastehen, was andere total verblüfft!“

Seine Motivation zur mühsamen Firmengründung zieht er vor allem aus der Abneigung einer Festanstellung: „Ich habe keine Lust auf den typischen Arbeitsalltag, jeden Tag ins Büro rennen und in einer Art Laufrad feststecken. Ich ziehe schon seit Jahren lieber mein eigenes Ding durch“. Sein zuckerfreies Unterfangen finanziert er aus eigenen Mitteln – mithilfe von vier Jobs, die er nebenbei macht – und der Gewinn wird sofort reinvestiert. Trotzdem kommen Zweifel auf, ob er die Anstrengungen auf Dauer durchhalten kann. „Ich komme nach meinen Jobs nach Hause und arbeite an sweetful things weiter. Man ist sowieso ständig mit dem Kopf dabei.“ Zwar könnten bewusste Auszeiten entlasten, aber Selbständige können und wollen sich das oftmals nicht leisten.

Versuchsreihe für eine Low-Carb-Erdbeermarmelade. Foto: Erik Klügling

Der Weg ist das Ziel

Wer gründet und den Anspruch hat, „führende Low Carb Marke in Deutschland zu werden“, braucht eine langfristige Strategie mit klaren Schritten. „Ich will schnell neue Produkte entwickeln und mein Angebot erweitern, um mehr Umsatz zu machen.“ Parallel sucht er nach Verstärkung. „Am besten wäre ein neuer Partner, der sich in der Lebensmittelchemie auskennt.“ Mindestens genauso wichtig ist eine solide Finanzierung. Erst dann kann er seinen Vertrieb Schritt für Schritt auf kleine Läden, Cafés und Bäckereien erweitern. Um seine Ziele zu erreichen, investiert er viel Geld und die unbezahlbare Ressource Zeit. „Einen langen Urlaub kann ich mir zwar erstmal nicht erlauben, dafür bin ich flexibler bei kurzfristigen Sachen.“ Ziel ist es, mit sweetful things fürs Leben auszusorgen: „Eine eigene Firma ist die beste Altersvorsorge! Der Anfang ist hart, man reißt sich regelmäßig den Arsch auf. Doch wenn es gut läuft, erntet man irgendwann die Früchte und kann sich öfter zurücklehnen!“

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